Während die klinische Relevanz allergischer Unverträglichkeiten von IgE-vermittelten Reaktionen außer Frage steht, wird über die Bedeutung von spezifischen IgG-Antikörpern gegen Nahrungsmittel öffentlich gestritten. Die oftmals legere Verwendung der Begriffe Allergie, Unverträglichkeit, Überempfindlichkeit, Intoleranzen oder Intoxikationen lassen Missverständnisse entstehen. Inzwischen fühlen sich auch Verbraucherschutzverbände aufgerufen, ob als Sprachrohr der Allergologen oder nicht, die Patienten zu ermuntern, die Honorierung für bereits durchgeführte Tests zu verweigern. Wieder einmal stehen rein subjektive Interessen der unterschiedlichsten Art einer offenen und dem wissenschaftlichen Anliegen verpflichteten Betrachtungsweise über Wert und Unwert einer Methode entgegen und verstellen den Blick für neue Wege. Dessen ungeachtet wächst aufgrund der überzeugenden Resultate am Patienten die Gruppe der Anwender von Jahr zu Jahr.
Gegenstand der Kritik
Im Wesentlichen wird nicht das diagnostische Verfahren, sondern die durch manche Anbieter entsprechender Testverfahren gezogenen Interpretationen der Messergebnisse werden kritisiert. Die Kritik lässt sich in einem Satz zusammenfassen: die Studienlage zu nahrungsmittelspezifischen IgG-Antikörpern entspricht noch nicht den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin und sei damit abzulehnen. Die klinische Bedeutung von nahrungsmittelspezifischen IgG-Antikörpern wird vollständig in Abrede gestellt und deren Bildung als Ausdruck einer physiologischen Toleranzentwicklung beschrieben. In Zusammenhang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wird die meist verstärkte Antikörperbildung als Epiphänomen, also Ursache ohne Wirkung interpretiert, dem jedenfalls keine Bedeutung zukäme.
Die Kritik der Allergologen ist aber nur teilweise berechtigt, da nicht alle zur Verfügung stehenden Daten in die Diskussion eingeflossen sind. Beachtenswerte Studienergebnisse in renommierten Zeitschriften und empirische Daten haben keinerlei Berücksichtigung gefunden oder werden als Placebo-Effekt abgewertet. Ebenso werden die Höhe der Antikörper-Titer und die Anzahl der positiv getesteten Nahrungsmittel in der Regel nicht berücksichtigt. "Gerade in der etablierten Fachliteratur wird dies mit einer möglichen klinischen Relevanz ausdrücklich in Zusammenhang gebracht", kritisiert Michael Martin, Heilpraktiker und Leiter Fachbereich Naturheilkunde bei der GANZIMMUN AG. "Die Mechanismen einer verstärkten IgG-Antikörperbildung bleiben in den Stellungnahmen der Fachverbände jedoch völlig unberücksichtigt."
Mechanismen von IgG-Antikörpern gegen Nahrungsmittel
Ein gesundes Immunsystem bildet zur Optimierung des Systemschutzes permanent IgG-Antikörper in moderatem Umfang. Im Rahmen des darmassoziierten Immuntrainings wird die beständige Aufnahme von Antigenen über spezialisierte Zellen (M-Zellen) ermöglicht. Folglich muss eine Antigen-Entsorgung nach dessen Eintritt in den Blutkreislauf gewährleistet sein. Diese Aufgabe kommt den Antikörpern vom Typ IgG zu. Gleichsam können auch Makromoleküle aus Nahrungsproteinen, die aufgrund ihrer Eigenschaften oder bedingt durch eine unzureichende Verdauungsleistung ihr allergenes Potenzial vor der Resorption nicht verloren haben, durch IgG-Antikörper neutralisiert werden. Um nun überschießenden Immunreaktionen wirksam entgegenzutreten, entwickelt das lokale Immunsystem ein hocheffizientes System zur Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Toleranz. Aktuelle Daten sprechen dafür, dass neben der Bildung von sIgA, dem eine wichtige Rolle zur Reduzierung von Antigenstress im Bereich der Darmschleimhaut zukommt, die Unterdrückung einer überschießenden IgE- und IgG-vermittelten Immunantwort u.a. auf die erst seit relativ kurzer Zeit bekannten TH3- und TR1-Zellen zurückzuführen ist, die sich ebenfalls im Bereich der Darmflora konzentriert nachweisen lassen. Diese Zellen wandern in andere Immunorgane und Orte erhöhter inflammatorischer Aktivität aus und bringen dort ihre immunschwächenden Eigenschaften zur Geltung bringen. Statt sIgA-Antikörper werden intensiviert IgG- bzw. IgE-Antikörper gebildet, die inflammatorische Prozesse initiieren können.
Trotz dieser Fakten nimmt die Kritik der Fachöffentlichkeit nicht ab
Die klinischen Symptome einer Nahrungsmittelallergie/-unverträglichkeit sind sehr vielfältig. Sie können sich nicht nur am Magen-Darm-Trakt, sondern auch an anderen Organsystemen wie Haut, Respirationstrakt und möglicherweise am Zentralnervensystem manifestieren. Ein Beispiel: Charakteristisch für eine Nahrungsmittelallergie ist das orale Allergiesyndrom, das durch Schwellung der Lippen bzw. der Mund- und Rachenschleimhaut gekennzeichnet ist. Auch andere typische allergische Krankheitsbilder wie Urtikaria oder Asthma bronchiale werden durch Nahrungsmittel ausgelöst oder getriggert. Auch die klinischen Symptome am unteren Verdauungstrakt sind eher unspezifisch und reichen von Bauchschmerzen, Koliken bis zur Diarrhö, Obstipation und intestinalem Blutverlust. Diese Tatsachen erfordern den sinnvoll abgestuften Einsatz unterschiedlicher Laborparameter, deren Auswahl sich nach den anamnestischen Angaben sowie dem zeitlichen Zusammenhang zwischen Zufuhr eines verdächtigen Nahrungsmittels und dem Auftreten der Beschwerden richtet.
Der unreflektierte und vorschnelle Einsatz umfangreicher IgG-Nahrungsmitteltests liefert verständlicherweise mannigfache Ansatzpunkte zur Kritik. Wir teilen in diesem Punkt die Auffassung des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, alle wichtigen Differentialdiagnosen in der Diagnostik der Nahrungsmittelallergien/-unverträglichkeiten zu berücksichtigen. Nur so wird die Basis einer guten diagnostischen bzw. labormedizinischen Verfahrensweise geschaffen.
Der Stellenwert heutiger Erfahrungsmedizin
Die Beobachtungen der Erfahrungsmedizin, also der "Experienced Based Medicine", bleiben Vorreiter einer evidenz-basierten Medizin. Evidence Based Medicine als alleiniges Kriterium zur Beurteilung und Einschätzung komplementärmedizinischer und naturheilkundlicher Verfahren, birgt die Gefahr eines völligen Verlustes wertvoller Erkenntnisse am Patienten, ohne die eine humane Medizin letztlich undenkbar ist. "Was im weltweiten Durchschnitt evidenz-basiert für ein Krankheitsbild richtig zu sein scheint, muss nicht für den einzelnen Patienten in seiner persönlichen Versorgungs- und Lebenssituation das Richtige sein", unterstreicht Monika Gerhardus, Präsidentin der UNION DEUTSCHER HEILPRAKTIKER und fügt ergänzend hinzu: "Diese Erkenntnis stammt im Übrigen nicht von mir sondern vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe."