fit und munter - Erwachsene mit Autismus aus dem Abseits holen

fit und munter

Erwachsene mit Autismus aus dem Abseits holen


In Deutschland gibt es schätzungsweise fast eine
halbe Million Erwachsene mit einer Autismus-Spektrum-Störung, kurz
Autismus. Nicht alle Betroffenen wissen, dass Autismus ihre
Schwierigkeiten verursacht: Die Dunkelziffer, also Fälle, die nicht
erkannt und diagnostiziert sind, ist etwa genauso hoch wie die Zahl
der Diagnosen. "Eigentlich war vieles bei mir Zufall: Dass ich meine
Diagnose bekommen und wie ich von der Ergotherapie erfahren habe.",
berichtet Christine Preißmann, Ärztin und im Erwachsenenalter
diagnostizierte Autistin. Sie wünscht sich: "Für alle erwachsenen
Betroffenen eine bessere ergotherapeutische Versorgung - weil dann
der Alltag viel leichter wird."

Es sind Reizüberflutungen, die das Leben von Menschen mit Autismus
so anstrengend und stressig machen. "Das Problem besteht in der
Verarbeitung von Sinnesreizen im Zentralnervensystem, sowie der
Filterung; bei Menschen mit Autismus kann das Gehirn nicht
unterscheiden, welche der Reize in ihrer Umgebung für sie wichtig
sind und die unnötigen ausblenden.", vermittelt die Ergotherapeutin
Meike Miller, weshalb Menschen mit Autismus es im Alltag so schwer
haben. Es ist individuell und unterschiedlich, auf welche Reize der
Einzelne besonders empfindlich reagiert. Licht, Geräusche,
Menschenmengen, taktile Reize, also Berührungen oder Kontakt mit
etwas oder jemandem. So bedeutet beispielsweise Streicheln, sich um
den Hals fallen, Küsschen geben - all das, wodurch die meisten
Menschen ihre Zuneigung ausdrücken - für einen Menschen mit Autismus,
der auf taktile Reize reagiert, das Gegenteil. Nämlich Stress. Ebenso
wie lose flatternde Haare oder Kleidung, die um den Körper streicht
und vieles mehr. Dieser Stress sorgt dafür, dass Menschen mit
Autismus sich schwer fokussieren können. Es sei denn, sie wissen,
woran sie leiden, erhalten zielführende Hilfe und haben gelernt, mit
ihren Defiziten umzugehen.

Vertrauen bilden

"Eines Tages erhielt ich die E-Mail einer Dame mit Autismus, die
Unterstützung in Alltagsbelangen, also Einkäufe tätigen, Haushalt
organisieren, etc., wollte. Das Irritierende daran: Aus den
Formulierungen ging klar hervor, das hat ein intelligenter Mensch
geschrieben.", schildert Meike Miller die Kontaktaufnahme durch
Christine Preißmann. Kinder mit Autismus sind in ergotherapeutischen
Praxen keine Seltenheit. Erwachsene hingegen schon. "Die ersten
Termine mit Frau Preißmann waren geprägt von vertrauensbildenden
Maßnahmen.", erklärt die Ergotherapeutin, wie es ihr gelang, eine
gute Basis für ein zielgerichtetes, ergotherapeutisches Coaching zu
schaffen. Trotz negativer Erfahrungen mit anderen Menschen, alter
tief sitzender Kränkungen, die durch nicht verstanden werden oder
immer abseits stehen entstanden waren.

Sicherheiten schaffen

Die Arbeit mit Erwachsenen mit Autismus zeigt vor allem eines: Mit
Autismus zusammenhängende Wahrnehmungsprobleme verwachsen sich nicht.
Einhergehend mit dieser Erkenntnis begründet die Ergotherapeutin
Miller ihre Methodenwahl. Mithilfe der Sensorischen
Integrationstherapie wird die übersensible Wahrnehmung gehemmt. Und
zwar durch verschiedene Faktoren wie Kälte, Tiefdruck und weitere
spezifische Maßnahmen. Und durch Kognition, also das Wissen. Zum
Beispiel: "ich weiß, was mir bevorsteht oder ''es frisst mich nicht''".
Oder durch einen veränderten Fokus. Meike Miller erklärt dies anhand
eines Beispiels. Christine Preißmann benötigt einen Pullover. Die
vielen Reize, Menschenmenge, Überangebot - es gibt viele Läden, die
Pullover anbieten, aber nicht nur Pullover, sondern auch Jacken,
Hosen, Taschen, etc. - verursachen eine Reizüberflutung. "Bevor ich
Ergotherapie erhielt," sagt Christine Preißmann, "kam ich meist ohne
etwas oder manchmal auch mit etwas Unbrauchbarem nachhause. Das
Angebot hat mich völlig überfordert und ich geriet immer mehr in
Stress und Erschöpfung." Fokussieren gelingt in solchen Fällen durch
vorheriges ergotherapeutisches Coaching. Die Ergotherapeutin
erarbeitet gemeinsam mit dem Klienten strukturiert und sehr genau den
Bedarf. Angefangen von ''was wird benötigt, welches Material, welche
Form, vielleicht welche Farbe und möglicherweise weitere Details''
führt die Ergotherapeutin ihre Klienten mit Autismus dazu
festzulegen, wie der zu kaufende Gegenstand sein muss. Und genau
darauf fokussiert sich der Betroffene bei seiner Suche. Wendet die
Strategien an, die er erlernt hat, um zuerst das Wesentliche
wahrzunehmen. Mit dem Wissen, was genau das Ziel ist und wie er mit
etwaigen Hürden umgehen kann, kommt er meist zum Ziel. Denn es geht
darum, Gewissheiten zu haben, sich in Sicherheit zu fühlen. Das
ermöglicht Menschen mit Autismus, sich in ihrem Leben zurechtzufinden
und sich wohlzufühlen.

Ziele verfolgen

Doch zu einem Leben, das sich auf möglichst vielen Ebenen gut
anfühlt, gehört noch mehr. Nach jedem Etappenziel gibt es weitere
Ziele, die Klienten mit Autismus festlegen und an deren Erreichung
sie arbeiten. Christine Preißmann beispielsweise ist es dank der
Unterstützung ihrer Ergotherapeutin gelungen, eine eigene Wohnung zu
beziehen, sich weiter vom Elternhaus abzunabeln, selbstständig und
selbstbestimmt zu leben. Oder sich einen anderen, lang gehegten Traum
zu erfüllen: Eine Reise in die Antarktis. Wobei das Planen und
Organisieren der Reise der Part ist, der ihr liegt, weil sie das
ausgezeichnet kann. Es sind wieder die lästigen Alltagsdinge, die sie
ausbremsen. Wie etwa eine Mütze kaufen, die aus dem für sie
geeigneten Material sein muss, also nicht kratzt oder so geformt ist,
dass sie nicht das Gefühl macht, den Kopf zum Bersten zu bringen. Die
Ergotherapie und die Unterstützung ihrer Ergotherapeutin geben ihr
auch hier wieder die nötige Sicherheit, alle angestrebten Projekte
gelingen und zu einem Erfolg werden zu lassen.

Alltag verbessern

Was hat die Ergotherapie in diesem Fall in Summe bewirkt? Die
Ergotherapeutin fasst zusammen: "Meine Klientin kann mittlerweile
erkennen: Woher kommt der Stress, die Überforderungssituation, wenn
ich beispielsweise in einer lauten Stadt unterwegs bin. Sie hat
gelernt, das Bewusstsein für sich selbst zu schärfen, ihre ganz
persönlichen Empfindlichkeiten zu erkennen und herauszufinden, wo sie
auf sich selbst Rücksicht nehmen muss. Oder vielleicht mit bestimmten
Tricks trotz der bekannten Schwierigkeiten zum Ziel zu gelangen." Und
die Klientin: "Ich möchte jeden ermutigen, der es im Alltag schwer
hat, weil er zum Beispiel nicht aushalten kann, in öffentlichen
Verkehrsmitteln zu fahren oder sich durch Menschenmengen zu bewegen,
ausschließlich eng anliegende Kleidung erträgt, oder unter bestimmten
Situationen, Farben, Geräuschen oder Licht leidet: es gibt Hilfe.
Mein Leben ist um vieles leichter und angenehmer geworden. Das
ergotherapeutische Coaching hat ein selbstbestimmtes Leben und
besseres Teilhaben möglich gemacht.", so das Resümee von Christine
Preißmann.

Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE
(Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Die Suche nach
Ergotherapeuten in Wohnortnähe ist auf der Homepage des Verbandes im
Navigationspunkt Ergotherapie und Therapeutensuche möglich
https://dve.info/ergotherapie/therapeutensuche.



Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke@dve.info

Original-Content von: Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V., übermittelt durch news aktuell
Login
Einstellungen

Druckbare Version

Artikel Bewertung
Ergebnis: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich die Zeit und bewerten diesen Artikel
Excellent
Sehr gut
Gut
Okay
Schlecht

Verwandte Links
Linkempfehlung

Diesen Artikel weiter empfehlen: