Noch vor einem halben Jahr war es verbreitete Einschätzung – wenngleich vielfach nur hinter vorgehaltener Hand geäußert - , dass der EuGH das Fremdbesitzverbot zu Fall bringen und Apothekenketten den Weg auf den deutschen Markt eröffnen würde. Gleichwohl ist das Votum des im Hinblick auf Entscheidungen des EuGH mit der Auguren-Rolle gesegneten Generalanwalts spätestens seit September 2008 keine Sensation mehr: da nämlich folgte der EuGH ebenfalls den Schlussanträgen des Generalanwalts Yves Bot und segnete die deutsche Rechtslage zu den krankenhausversorgenden Apotheken ab, obwohl die bestehenden deutschen Regelungen die Krankenhausversorgung durch Apotheken aus dem EU-Ausland zumindest faktisch verhindern und damit das frühere Regionalprinzip bei der Krankenhausversorgung durch die Hintertür beibehalten.
Zentrales Argument hier wie dort: den einzelnen Mitgliedstaaten sei ein Beurteilungsspielraum bei der Frage zuzugestehen, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz der Bevölkerung gewährleisten und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Dass in einem Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften gelten, als in einem anderen, bedeute nicht, dass die strengere Rechtslage unverhältnismäßig wäre. Wenn der EuGH dem Generalanwalt dahin gehend gefolgt war, dass dieser Beurteilungsspielraum die deutschen Regelungen zu krankenhausversorgenden Apotheken rechtfertigt, so mag man sich ausrechnen, wie die Chancen stehen, dass der EuGH diesem Votum des Generalanwalts auch in Sachen Fremdbesitzverbot folgt.
Dennoch: Die Anhänger des Fremdbesitzverbots – also die weit überwiegende Zahl der deutschen Apotheker – sollten jetzt nicht den gleichen Fehler begehen wie die Propheten der Apothekenketten und sich bereits in Sicherheit wiegen. Denn gerade im Gesundheitsbereich hat der EuGH durchaus schon in Fällen mit ähnlich großer Tragweite abweichend vom Schlussantrag des Generalanwalts entschieden. Und so paradox es klingt: Gerade die Eindeutigkeit, mit welcher der Generalanwalt praktisch allen Argumenten der Verteidiger des Fremdbesitzverbotes gefolgt ist, sollte zur Vorsicht mahnen. Denn selbst, wer dem Fremdbesitzverbot wohlwollend gegenüber steht, muss zumindest insgeheim anerkennen, dass die Rechtslage derart eindeutig keinesfalls ist. Dies gilt insbesondere für die Übertragbarkeit des berühmt-berüchtigten „Optiker“-Urteils des EuGH auf das Fremdbesitzverbot, die vom Generalanwalt mit durchaus anfechtbarer Begründung verneint wurde.
Vor allem aber: Als Signal für ein unreflektiertes „Weiter so“ und Freibrief zur Besitzstandwahrung sollte auch ein dem Generalanwalt folgendes Urteil des EuGH nicht verstanden werden. Denn die normative Kraft des Faktischen und der weiter wachsende Kostendruck im Gesundheitswesen könnten zumindest mittelfristig eine das Fremdbesitzverbot akzeptierende EuGH-Entscheidung in der Praxis Makulatur werden lassen. Umgekehrt sollten Politik und Standesvertretung jetzt nicht den Fehler machen, in vorgezogener Siegerlaune die Uhren in Sachen Arzneimittelversand auf den Status quo ante zurück drehen und den Rx-Versand wieder verbieten zu wollen. Eine Wiederauferstehung des Fremdbesitzverbotes bedeutet gerade nicht, jede Liberalität zu begraben.