fit und munter - Brücken bauen, Trauma überwinden

fit und munter

Brücken bauen, Trauma überwinden

Der gemeinnützige Verein Förderkreis für Ganzheitsmedizin Bad
Herrenalb organisiert im Herbst einen Kongress zum Thema
Trauma, Traumatherapie und Spiritualität. Der Kongress informiert
Betroffene, Interessierte und das Fachpublikum in Seminaren und
Vorträgen über Hintergründe und Therapien von Traumata. Im
Interview, informiert der Vereinsvorsitzende Dr. Kornelius Roth
über die Veranstaltung und über Ursachen und Folgen
traumatischer Erlebnisse.
Stoltenhoff:
Herr Doktor Roth, wie würden Sie ein Trauma beschreiben und
definieren?

Dr. Kornelius Roth:
Ein Trauma ist ein Ereignis, bei dem ein Mensch dem
tatsächlichen oder drohenden Tod oder zumindest mit der
Gefahr für die eigene körperliche Unversehrtheit konfrontiert
wird. Wenn ein traumatisches Ereignis nicht verarbeitet werden
kann, kann sich später eine Vielzahl von Symptomen
entwickeln, die die Entwicklung psychischer Erkrankungen
begünstigen. Dazu gehören nicht nur die bekannte
posttraumatische Belastungsstörung, sondern auch andere
Erkrankungen wie Neurosen, Abhängigkeitserkrankungen oder
Persönlichkeitsstörungen. In der Psychotherapie entwickelt sich
langsam das volle Verständnis für die inneren Zusammenhänge
und Auswirkungen traumatischer Ereignisse. Das trifft aber auch
auf unsere Gesellschaft zu.
Andererseits muss man feststellen, dass selbst unter Fachleuten
mangelnde Kenntnisse über die Auswirkungen traumatischer
Erfahrungen existieren. Es ist noch nicht so lange her, dass
Vergewaltigungsprozesse zu Gunsten des Täters entschieden
wurden, weil das Opfer den Täter beispielsweise durch zu kurze
Kleider provoziert habe. Aber auch hier sehen wir heute ein
Umdenken und eine gute Entwicklung, wenn wir beispielsweise
an das Opferschutzgesetz denken.
Aber wir sehen auch die andere Entwicklung. Der Blick auf
posttraumatische Belastungsstörungen bei deutschen
Afghanistansoldaten, hat jetzt zur Eröffnung des Traumzentrums
in Berlin geführt. Es gibt inzwischen viel mehr Aufmerksamkeit
für das Thema Trauma und es wurden in den letzten Jahren
mehrere Therapieverfahren entwickelt, die ganz gezielt
Traumatisierungen aufarbeiten können. Michaela Huber, die in
der vordersten Reihe der Traumapsychotherapeuten im
deutschsprachigen Raum steht, wird in ihrem Vortrag und
Seminar dazu ihre Erfahrungen einbringen.

Stoltenhoff: Wie häufig kommt ein Trauma vor und welche Arten
von Traumatisierungen kann man unterscheiden?

Roth:
Ca. 50% aller Menschen haben einmal oder mehrmals eine
traumatische Erfahrung in ihrem Leben gemacht. Es gibt
verschiedene Unterscheidungsmöglichkeiten. Man kann
beispielsweise das Trauma nennen, das Menschen bei einer
Naturkatastrophe, also beispielsweise einem Erd- oder
Seebeben, erleiden. Das ist eine entsetzliche Erfahrung, die
man, wenn man überlebt hat, jedoch mit anderen teilt. Das
Ereignis wird öffentlich wahrgenommen und man sitzt
sozusagen in einem Boot mit anderen Betroffenen. Das
solidarisiert.

Das Einzeltrauma hingegen, welches ein einzelner Mensch
durch andere erleidet, führt oft zum Rückzug des Betroffenen. In
vielen Fällen schämt sich das Opfer für das, was ihm angetan
wurde. Deshalb erzählen so wenige Betroffene von ihren
Erlebnissen. Das individuelle Trauma kann Scham- und
Schuldgefühle hervorrufen und isoliert die Betroffenen. Gerade
Kinder nehmen die Schuld der Täter auf sich. Prof. Günther
Seidler, der sich intensiv mit dem Thema Scham
auseinandergesetzt hat, wird diese wichtigen Zusammenhänge
näher darlegen.

Stoltenhoff:
Ihr Kongressthema lautet: „Überwunden – Trauma, Genesung
und Spiritualität“. Wieso Spiritualität? Der Begriff ist in diesem
Zusammenhang für mich noch nicht recht greifbar.

Roth:
Ein Trauma bringt den Menschen real oder gefühlsmäßig in
Todesnähe. Aus der existentiellen Bedrohung heraus entsteht
oft eine innere Auseinandersetzung mit unserer Endlichkeit:
Fragen zum Leben, zum Sinn und zum Tod tun sich auf. Viktor
Frankl, der Begründer der Logotherapie, hat aus eigener
Erfahrung die Bedeutung des Lebenssinns für sein Überleben
im Konzentrationslager erkannt. An diesem Schnittpunkt trifft die
Psychotherapie auf die Spiritualität.
Wir wollen auf dem Kongress der Frage nachgehen, inwieweit
geistige Übungen wie Meditation oder Kontemplation oder
geistige Kräfte wie Dankbarkeit, Demut oder Vergebung, eine
hilfreiche Rolle bei der Überwindung und Integration der
traumatischen Erfahrung spielen können. Prof. Eugen
Drewermann, Prof. Friedhelm Lamprecht, das Pfarrehepaar
Maier und die Pfarrerin und Psychotherapeutin Margrit Schiess
werden hierzu entsprechende Beiträge liefern.

Stoltenhoff:
Sie sprachen von Vergebung. Der Psychoanalytiker Dieter
Funke hat vor einigen Monaten im Interview mit der
Wochenzeitung DIE ZEIT über die Absurdität der Situation
gesprochen, die bei Missbrauch im kirchlichen Umfeld entsteht;
dass nämlich die Kirche von den durch ihre eigenen
Angestellten missbrauchten Opfern Vergebung fordert, sich also
auf Werte bezieht, die ja gerade in der Missbrauchstat mit Füßen
getreten wurden.

Dr. Roth:
Ich teile die Ansicht von Herrn Funke. Hier wird Vergebung
gefordert, ohne dass sich der Täter je der Wahrheit des Opfers
gestellt hätte, geschweige denn einer Sühne bzw. Bestrafung
oder eine Wiedergutmachung, so fern sie möglich ist, geleistet
wurde. Die eingeforderte Vergebung könnte man etwas
zugespitzt ausgedrückt als Wiederholung der Entmachtung der
Opfer betrachten, die die Traumatisierten bereits anlässlich der
sexuellen Übergriffe erlitten haben. Das perfide an den
sexuellen Übergriffen durch Geistliche ist ja auch, dass die
Geschädigten nicht nur ein körperliches, sexuelles Trauma
erlitten haben, sondern auch noch in ihren religiösen
Fundamenten erschüttert worden sind. Die angemahnte
Vergebung wäre tatsächlich eher eine Retraumatisierung für die
Betroffenen.
Unabhängig davon, kann die Vergebung für traumatisierte
Menschen manchmal Teil ihres inneren
Verarbeitungsprozesses sein. Aber der Vergebungsprozess
kann nicht eingefordert werden, sondern entsteht aus dem
eigenen Genesungswunsch und ist Teil der neuen Freiheit und
Unabhängigkeit, die der aus seinem Trauma
herausgewachsene Mensch erlebt. Unsere Referentin
Hildegard Fuhrberg ist selbst betroffen und setzt sich in ihrem
Kongressbeitrag damit auseinander.

Stoltenhoff:
Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen viel
Erfolg für den Trauma - Kongress im Oktober.
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