fit und munter - Gesetz wirkt nicht wie erhofft: Noch immer viele Antibiotika bei Geflügel und Kälbern

fit und munter

Gesetz wirkt nicht wie erhofft: Noch immer viele Antibiotika bei Geflügel und Kälbern


Der Einsatz von Antibiotika bei Mastferkeln und
Mastschweinen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen,
bei anderen Masttieren jedoch kaum. Damit hat das
Bundeslandwirtschaftsministerium sein selbst gesetztes Ziel nur
teilweise erreicht. Das geht aus einem bislang internen
Evaluierungsbericht hervor, der NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ)
vorliegt.

Vor fünf Jahren, im April 2014, war eine Reform des
Arzneimittelgesetzes in Kraft getreten. Die Bundesregierung wollte
damit den Einsatz von Antibiotika bei Masttieren deutlich verringern.
Denn je häufiger Antibiotika in Ställen eingesetzt werden, desto mehr
Bakterien entstehen, bei denen die Mittel nicht mehr wirken - und die
wiederum können auch bei Menschen zu schwer behandelbaren Infektionen
führen.

Nun hat das Bundeslandwirtschaftsministerium überprüft, ob die
Gesetzesänderung den gewünschten Erfolg gebracht hat. Aus dem
Evaluierungsbericht wird deutlich, dass sie nicht bei allen Tierarten
wie gewünscht gegriffen hat. Demnach ist der Antibiotika-Einsatz bei
Mastferkeln und -schweinen innerhalb von drei Jahren deutlich
zurückgegangen - um mehr als 40 Prozent beziehungsweise um insgesamt
etwa 90 Tonnen (Mastferkel: 2. Halbjahr 2014: 87,5 t + 2. Halbjahr
2017: 47,2 t / Mastschweine: 2. Hj. 2014: 115,0 t + 2. Hj. 2017: 65,2
t).

Dagegen hat sich bei Hühnern, Puten und Rindern kaum etwas
verbessert. Die Verbrauchsmengen blieben hier "nahezu unverändert",
stellt der Bericht fest (Masthühner: 2. Hj. 2014: 29,7 t + 2. Hj.
2017: 29,5 t / Mastputen: 2. Hj. 2014: 38,1 t + 2. Hj. 2017: 36,7 t /
Mastkälber: 2. Hj. 2014: 26,0 t + 2. Hj. 2017: 25,0 t / Mastrinder:
2. Hj. 2014: 1,7 t + 2. Hj. 2017: 0,4 t)

Seit der Gesetzesänderung müssen Landwirte, die eine Mindestzahl
an Mastkälbern, Mastrindern, Mastschweinen, Masthühnern oder
Mastputen halten, alle sechs Monate ihre Antibiotika-Einsätze melden.
Wer deutlich über dem Durchschnitt liegt, kann von den Behörden dazu
verpflichtet werden, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, etwa die Haltung zu
verbessern.

Bei Mastkälbern und Mastrindern habe das Gesetz "nicht den Effekt
einer deutlichen Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes erbracht",
schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium. Und in Bezug auf
Masthühner und Mastputen heißt es, die beobachtete Entwicklung habe
"nicht die an das Antibiotikaminimierungskonzept gestellte Erwartung"
erfüllt. Die Gründe hierfür ließen sich aus den vorliegenden Daten
nicht ermitteln und bedürften weiterer Untersuchung.

Beim Geflügel gehört nach wie vor knapp die Hälfte der
eingesetzten Menge an Antibiotika zu sogenannten kritischen
Wirkstoffen, die auch als Reserve-Antibiotika bezeichnet werden. Sie
wurden von der Weltgesundheitsorganisation WHO als besonders wichtig
für die Behandlung von Menschen eingestuft.

Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen,
kritisiert deshalb die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner
(CDU). Sie müsse dafür sorgen, dass Reserveantibiotika "endlich raus
aus der Mast" kämen. Sie dürften nicht in der Tiermast eingesetzt
werden, "weil sie eine Bedrohung für die Humanmedizin, für uns
Menschen sind, wenn wir im Krankheitsfall diese Stoffe benötigen",
sagt Ostendorff.

Eines dieser Reserve-Mittel ist Colistin. Viele Ärzte kritisieren
den Einsatz dieses Mittels bei Tieren grundsätzlich. Dennoch wird es
in der Hühner- und Putenmast weiterhin sehr oft verwendet. Auffällig
ist zudem, dass die Halter von Hühnern und Puten zwar weniger
Einsätze dieses Mittels gemeldet haben, die insgesamt verabreichte
Menge der Medikamente jedoch nicht gesunken ist. Deshalb geht das
Ministerium davon aus, dass Colistin neuerdings erheblich höher
dosiert wird, sogar "erheblich höher", als in den
Zulassungsbedingungen vorgesehen. Ob dies allerdings gegen die
Grundsätze des sorgfältigen Antibiotikaeinsatzes bei Tieren verstoße,
könne nicht beurteilt werden, heißt es in dem Bericht.

Das Landwirtschaftsministerium hat auch die Größe der Betriebe
untersucht. Insgesamt werden demnach Tiere in großen Betrieben
häufiger mit Antibiotika behandelt als in kleinen und mittleren -
egal, bei welcher Tierart. Nach Ansicht des Grünen-Politikers
Ostendorff ist das Problem vor allem die hohe Tierdichte in den
großen Ställen. Er fordert deshalb, den Tieren mehr Platz zu geben.
Dann seien weniger Antibiotika notwendig.

Aus dem Evaluierungsbericht geht zudem hervor, dass einige
Betriebe möglicherweise eine Lücke in dem neuen Gesetz ausnutzen.
Eine Gruppe von Bundesländern hat für den Bericht des
Landwirtschaftsministeriums ihre Erfahrungen beigesteuert. Demnach
werden Kälber "recht häufig auf Sammelstellen oder bei
Viehhandelsunternehmen antibiotisch versorgt und dann vorbehandelt in
Mastbetriebe verbracht". Und in den Sammelstellen und den
Handelsunternehmen wird nicht erfasst, welche und wie viele
Antibiotika die Tiere bekommen. Denn sie gelten offiziell nicht als
Tierhaltungs-Betriebe, da die Tiere dort weniger als einen Tag lang
verbleiben. Deshalb unterliegen sie auch nicht der Mitteilungspflicht
für Antibiotika-Einsätze.

Auch sogenannte Baby-Ferkelerzeugerbetriebe müssen die
Medikamentengaben nicht melden. Und dort werden offenbar häufig
Antibiotika gegeben, obwohl es gar nicht nötig wäre. Die Bundesländer
schreiben: "Berichten zufolge sollen Mastbetriebe oft - unabhängig
von einer diagnostizierten Erkrankung - nur mit Antibiotika
behandelte Tiere von Erzeugerbetrieben abnehmen." Von dem Gesetz
gänzlich ausgenommen sind zudem einige andere Tierhaltungen - etwa
von Legehennen oder Milchkühen.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte auf Anfrage von NDR
und SZ mit, aus den Ergebnissen des Berichts werde es gegebenenfalls
gesetzgeberische Schlussfolgerungen ziehen. Generell arbeite es
intensiv an der Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika in der
Tierhaltung. Das Ministerium verweist darauf, dass die Abgabemengen
in den vergangenen Jahren bereits deutlich gesunken sind. Es arbeite
jedoch an einer "weiteren Minimierung". Insbesondere die Anwendung
sogenannter Reserveantibiotika müsse restriktiver werden. Es gebe
Untersuchungen zur Geflügelmast, die die Vermutung nahe legen würden,
"dass zu viele Antibiotika eingesetzt werden".



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Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Ralf Plessmann
Tel: 040 / 4156-2333
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