(P2D) Berlin, der 17.06.2009 - am 18. Juni 2009 jährt sich der seit 2005 jährlich stattfindende Autistic Pride Day zum vierten Mal. Ein Anlass, das fünfjährige Jubiläum der ersten Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung in Deutschland von und für Erwachsene mit Asperger-Syndrom und anderen Diagnosen im Autismus-Spektrum an diesem Tag zu feiern. Viele nennen sich autistische Menschen und nicht Menschen "mit Autismus", da sie Autismus als untrennbaren Teil ihrer Persönlichkeit betrachten. Sie möchten als autistische Menschen respektiert und wertgeschätzt werden und viele lehnen den Begriff "Störung" oder "Krankheit" für die Beschreibung ihres Autistischseins ab.
Bei autistischen Menschen besteht oft eine extreme Diskrepanz zwischen ihren Schwächen und ihren Stärken. Sie haben typischerweise Schwierigkeiten damit, Körpersprache und die übertragene Bedeutung von Sprache zu verstehen, Menschen an Gesichtern zu erkennen, sich vorzustellen, was andere Menschen denken, wenn dies nicht ausgesprochen wird, sind manchmal motorisch ungeschickt, haben Schwierigkeiten mit Veränderungen und leiden an Reizüberflutung, da sie Sinneseindrücke teilweise hochsensibel und hochintensiv wahrnehmen. Reizüberflutung kann ein Grund für den Rückzug autistischer Kinder und Erwachsener sein, die sich von ihrer Umwelt sensorisch überfordert fühlen.
Im Gegensatz zu früheren Mythen haben autistische Menschen Gefühle und Mitgefühl mit anderen Menschen. Auch wenn autistische Kinder ihre Zuneigung vielleicht nicht oder untypisch ausdrücken, zeigt die Forschung, dass autistische Kinder genauso sehr an ihre Mutter gebunden sind wie nicht autistische Kinder. Es gibt autistische Kinder und Erwachsene, die nicht sprechen, doch können die meisten autistischen Personen sehr gut sprechen. Einige autistische Erwachsene, die nicht sprechen, haben lesen und schreiben gelernt. Viele autistische Erwachsene haben gelernt, ihr Verhalten anzupassen, um auf den ersten Blick nicht aufzufallen. Das kann extrem anstrengend sein und autistische Frauen scheinen etwas besser im Schauspielern zu sein als Männer und werden daher in der Regel auch seltener als autistisch diagnostiziert. Schriftliche Kommunikation wie in Internetforum bieten autistische Menschen die Möglichkeit als gleichberechtigte Kommunikationspartner mit nicht-autistischen Menschen zu kommunizieren und hilft dabei, auch persönliche Kontakte herzustellen.
Stärken autistischer Menschen sind typischerweise eine sensible Sinneswahrnehmung, ein gutes Langzeitgedächtnis, Genauigkeit im Denken sowohl bei Details als auch beim Gesamtbild, die Fähigkeit, sich intensiv zu konzentrieren, sowie oft ein umfassendes Wissen über Spezialinteressen.
Dabei sind Atypischer Autismus, Asperger-Syndrom und Kanner-Autismus drei Autismus-Diagnosen, die mittlerweile unter dem Begriff Autismus-Spektrum zusammen gefasst werden, da sich die vormals getrennten Diagnosen nur schwierig voneinander abgrenzen lassen. Etwa 1% der Bevölkerung, knapp 800.000 Menschen in Deutschland, werden heute als "im Autismus-Spektrum" betrachtet, wenn man sie alle als Kind auf Autismus untersuchen würde. Ein angesehener Autismus-Experte hat einen Autismus-Quotient-Test entwickelt, mit dem man im Internet seinen jeweiligen "Autismus Quotient" (AQ) ausrechnen kann. Tatsächlich ist es bis heute ungeklärt, ob es tatsächlich eine eindeutige Trennung zwischen autistischen und typischen Menschen gibt, oder ob das, was Autismus-Spektrum genannt wird, stattdessen ein Extrem dessen beschreibt, wie alle Menschen denken und die Welt wahrnehmen. So gibt es etwa Menschen, die ähnliche Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung von Körpersprache haben wie autistische Menschen, ohne die Diagnosekriterien für Autismus zu erfüllen, also subklinisch autistisch sind und die ohne existierende Diagnose auch ohne Zugang zu Hilfsangeboten sind.
Viele autistische Erwachsene wurden in Deutschland in der Vergangenheit gar nicht, selten oder oft falsch diagnostiziert. Viele autistische Erwachsene waren mit ihrem Anderssein sozial isoliert, unverstanden, ohne angemessene Unterstützung in Schule und Ausbildung, andere wiederum gar nicht oder trotz angemessener Qualifikation unterbeschäftigt und einige jahrelang in falscher Behandlung. Während einige autistische Erwachsene Nischen in der Gesellschaft gefunden haben, in denen sie gut zurechtkommen, wurden andere autistische Erwachsene als autistisch diagnostiziert, nachdem sie in ihrem Leben Anforderungen der Gesellschaft nicht mehr erfüllen könnten, oder psychisch erkrankten und Hilfe suchten oder selbst wissen wollten, warum sie anders sind. Dabei fanden sich autistische Erwachsene in keiner Form in der Gesellschaft vertreten. Wie autistische Menschen leben, die es geschafft haben gut in der Gesellschaft zurecht zu kommen ist wenig bekannt, da sie oft nicht als autistisch diagnostiziert wurden und sich oft nicht als autistisch outen. Aus dieser Situation heraus wurde Aspies e.V. gegründet. Der Verein hat heute etwa 160 Mitglieder und organisiert sich hauptsächlich über das Internet. Zu den Aktivitäten des Vereins zählen die Mithilfe bei der Gründung von Selbsthilfegruppen in ganz Deutschland, eine bundesweite Adressdatenbank von Angeboten für autistische Menschen, darunter Selbsthilfegruppen, Ärzten und Therapeuten, Arbeit und Beruf, Wohnen, Recht, Autismusorganisationen, sowie Links zu anderen Seiten. Der Verein gibt einen Newsletter heraus, der kostenlos auf der Internetseite heruntergeladen werden kann, veranstaltet Sommercamps, betreibt eine Fernbibliothek, ein Wiki, einen Chat und ein Internetforum, sowie Selbsthilfegruppen. Das verfolgt der Verein nun seit fünf Jahren zusammen mit einer wachsenden Zahl von Selbsthilfegruppen im ganzen Bundesgebiet.
Mitglieder des Vereins engagieren sich auch außerhalb des Vereins, geben Radio- und Fernsehinterviews, schreiben Artikel, halten Vorträge und sind zusammen mit Autismusexperten Referenten auf Fortbildungen für Ärzte und Psychologen. Ein Mitglied des Vorstandes bereitet die Gründung einer Firma vor, die gezielt autistische Erwachsene einstellen soll. Vereinsmitglieder arbeiten in einem Forschungsprojekt mit Psychologen zusammen und erforschen Wissen über Autismus in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, inklusive Angestellten der Berliner JobCenter. Ein Vereinsmitglied organisiert regelmäßige Treffen, an denen autistische Erwachsene und Menschen, die beruflich mit autistischen Menschen arbeiten gemeinsam teilnehmen, um den direkten Erfahrungsaustausch zwischen autistischen Erwachsenen, Fachkräften und Forschern zu fördern. Ein Mitglied beteiligt sich an einem US-amerikanischem Forschungsprojekt, bei dem autistische Erwachsene und Forscher untersuchen, inwieweit autistische Erwachsene Zugang zu allgemeiner medizinischer Versorgung haben und inwieweit diese verbessert werden kann - nicht um Autismus zu behandeln, sondern weil autistische Erwachsene über Schwierigkeiten berichteten, zum Hausarzt oder zum Zahnarzt zu gehen. In der Stellungnahme zur Autismusforschung fordert Aspies e.V. entsprechend, "eine wissenschaftliche Antwort darauf zu bieten, wie autistische Individuen sich erfolgreich entwickeln und leben können - als autistische Individuen. Es kann kaum einen Zweifel geben, dass eine solche Rekonzeptualisierung dazu führen wird, dass Autisten ein erfüllenderes und respektierteres Leben führen und Nicht-Autisten und Autisten harmonischer miteinander leben."
Dafür, fordert Aspies e.V., sollen "die Stärken und Kompetenzen, die autistische Individuen besitzen, empirisch identifiziert werden", Wissen, welches dann allen autistischen Menschen und deren Angehörigen zu Gute kommen kann und auch für Ausbildung und Arbeit wichtig ist. In der Vergangenheit hat sich Autismusforschung oft einseitig und teilweise voreingenommen auf die Erforschung von Defiziten, Ursachen und Behandlungen von Autismus konzentriert. Manche autistische Menschen fürchten etwa, dass zumindest einige Forscher als Ziel verfolgen, autistische Kinder schon vor der Geburt zu diagnostizieren, zu behandeln und abzutreiben; einige vergleichen dies mit Euthanasie. Aspies e.V. fordert das Recht auf körperliche Unversehrtheit für autistische Menschen ein, und dass Autismusforschung sich in Zukunft darauf konzentriert, einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität für autistische Mitbürger zu leisten, die heute und hier in unserer Gesellschaft leben, und deren menschliche Vielfalt einen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten kann. Schätzungsweise 800.000 Menschen, die mehr oder weniger autistisch sind, tun dies bereits. Jetzt fordern einige von ihnen Mitsprache in Belangen, die sie selbst betreffen, und zu denen sie beitragen können. "Der Autistic Pride Day soll allen autistischen Menschen Mut machen, dafür zu stehen, wie sie sind, auch wenn sie eine Minderheit sind, und ihren eigenen Weg zu finden, in der Gesellschaft zurechtzukommen", so der Vorstandsvorsitzende Rainer Döhle. Positiv über sich und die Gesellschaft zu denken ist sicher gesund, unabhängig davon wie man über Autismus denkt.
Links:
Machen Sie den Autismus-Quotient-Test!
http://www.autismusundcomputer.de/aqtest.html
Aspies e.V. - Menschen im Autismusspektrum:
http://www.aspies.de
Ziele des Vereins, Aktivitäten des Vereins, Stellungnahme zur Autismusforschung http://aspies.de/ueberuns_forschung.php